Geschwister Well Stuttgarter Zeitung – Weil’s is wia’s is, is wia’s is
(Geschwister Well Stuttgarter Zeitung vom 19. April 2013) Kleinkunst Heute beginnt das Stuttgarter Kabarettfestival. Am Sonntag treten deshalb die Geschwister Well im Theaterhaus auf. Zwei Biografien erzählen das Wirken der männlichen Well-Geschwister, die sich bis vor kurzem Biermösl Blosn nannten. Von Mirko Weber
München – Helmut Eckl, längst im reiferen Pensionsalter, aber immer noch amtierender bayerischer Kabarettdialektiker, ist ein Biermöslblosnianer der ersten Stunden, also aus dem Jahr 1976: „Da kraxelten“, erinnert sich der Eckl, „drei furchtlose junge Burschen auf die Bühne“. Das war im MUH, dem „Musikalischen Unterholz“, im alten Hackerhaus in München. Neben dem Tubisten Michael Well erblickte Eckl den Stofferl, das Nesthäkchen, „der trompetete, dass die Ohren der Kleinkunstfans glücklich wackelten, und der Hans machte ein ernstes Gesicht, da er mit seinen frechen Gstanzln der Welt Wichtiges erklären musste.“
Eine Weile lang traten Eckl und die Biermösl Blosn miteinander auf, unter anderem in einer Epoche machenden Sendung 1979 von der Berliner Funkausstellung, die allen Ernstes unter dem Titel „Musi, G’sang und g’scheite Sprüch“ von der ARD live übertragen wurde. Wenig später allerdings hatte die Sache mit dem Eckl und der Biermösl Blosn ein Ende, weil sich in Person von Gerhard Polt ein Partner für kommende Jahrzehnte fand. Eckl notierte weise: „Sis wias is. Und weils is wias is, is wias is.“ Kann man nicht besser sagen – und nebenher hat der Eckl die drei Brüder damals schon trefflich charakterisiert und eingeordnet: ein eher Zurückhaltender (Michael, der personifizierte Ausgleich), ein musikalisches Ausnahmetalent (Stofferl) und eine Art Praeceptor Bavariae (Hansi, der Älteste der drei), beseelt davon, die Menschen Mores zu lehren und aufzuklären. Das war, 35 Jahre lang, die Biermösl Blosn: 1,6 Millionen Kilometer gefahren, 4200 Auftritte absolviert, 48 Haferlschuhsohlen durchgeplattelt – und immerhin fünf Ministerpräsidenten aus dem Amt gesungen. Was will man mehr?
Als sich die Blosn im Hochsommer 2011 trennte, geschah das nach außen hin schiedlich-friedlich, und selbst der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber reimte (oder ließ reimen): „Machts es guad, vielleicht kemmts wieder/Mir war’s jedenfalls ned zwider.“ Stoibers Holperlyrikversuch dokumentierte ein wenig den damaligen Status des Trios. Sie waren auf dem mutmaßlich unguten Weg, in einem sich verändernden Bayern allmählich zu den Darlings jenes Betriebs zu werden, dessen Deppen- respektive Gaunerhaftigkeit sie stets entlarvt hatten. Anders gesagt, war einerseits eine Mission erfüllt, ohne dass, andererseits, gleich die Vision einer neuen sichtbar geworden wäre. Und den bissigen Utopisten Hans Well trennte mittlerweile eine, sagen wir, Viertels-Welt vom Pragmatismus respektive Schönspiel- und Gaudi-Geist seiner Brüder. Und deswegen war’s leider aus mit der Blosn.
Drei Brüder, zwei Bücher
Mit ein wenig Abstand haben nun Hans Well („35 Jahre Biermösl Blosn“) und Stofferl und Michael Well („Biermösl Blosn, Tokio-Kapstadt-Hausen“), die Bandgeschichte aufgezeichnet, wobei stilistisch und erkenntnistheoretisch ganz verschiedene Verfahren angewandt werden. Stofferl und Michael wählen den eher keithrichardsmäßigen Ansatz, den der Gitarrist für seine Erinnerungen („Life“ betitelt) verfolgte. Demnach war, wenn’s auch unter 15 Geschwistern im Lehrerhaushalt in Günzlhofen zwangläufig mal krachen musste und auch später nicht alles heidschibumbeidschihaft weiterging, das Leben immer schon auch volkstümlicher Rock’n’Roll. Und sie mochten es. Daher ein Roadbook mit zahlreichen Archivbildern und Sammlerstücken.
Hans Well wählt – naturgemäß, er war das neunte Kind, die Zeiten begannen sich zu ändern und er sich mit ihnen – eine andere Perspektive. Von Anfang an ist das Buch in der Ich-Form erzählt und von einem Entlarvungsernst getragen, der einen partienweise an die Konfessionen Montaignes denken lässt: „. . .dem persönlichen Gebrauch meiner Freunde und Angehörigen gewidmet, auf dass sie, wenn sie mich verloren haben, darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsverfassung wiederfinden…“, wie der große Franzose 1580 schrieb.“ Hans Well pflückt das Bild der miteinander musizierenden Großfamilie auseinander, um sich sein Leben (Betonung auf: sein) kritisch zusammenzusetzen. Als roten Faden erkennt man, dass Hans Well es sich nie leicht gemacht hat, bis er zur richtigen Kampfeinstellung fand.
Was heute selbstverständlich ist – ein der Volksmusik eingewobenes kritisches Potential – war zudem zu (siehe oben) MUH-Zeiten in den Endsiebzigern ein Novum, und nun wäre es retrospektiv einfach, so zu tun, als hätte die Blosn ein ganzes Genre allein erfunden. Im interessantesten Teil seiner Autobiografie differenziert Hans Well da sehr fair, wenn er erläutert, dass die Anfänge in der Szene teils auf der festen Repertoirebasis der Familienmusik und der Gedichte des Vaters entstanden. Von Günzlhofen aus schließlich wurde die Neuausrichtung des Nachwuchses verständlicherweise erst beargwöhnt. Dann aber siegten Einsicht und Stolz, und die Biermösl Blosn konnte daran gehen, Bayern ein wenig zu ändern, wie nebenher die Republik zu erobern, Münchens Theaterszene aufzumischen und mit ihren Gesamtkunstwerken, die weiß Gott nicht nur von Musik und Texten lebten, sondern von einer gemeinsamen Grundhaltung, in die Welt hinauszugehen. Am Ende haben die drei Brüder mehr für das bayerische (und deutsche) Ansehen geleistet als Garnisonen von verbeamteten Kulturwichtigtuern. Sei’s drum. Gut beraten ist, wer die beiden Bücher als Komplementäre im Kontrast liest. Wo die einen (Stofferl und Michael) sich von Wegbegleitern und Special Guests fleißig Erinnerungstexte eingesammelt haben, liefert Hans Well eigenwillig auch ein paar weniger glamouröse Geschichten.
Trennung nicht im Guten
Getrennt haben sich die Wege der Brüder nicht über einen handgreiflichen Streit (man ist schließlich nicht bei Oasis), aber auch nicht ganz im Guten. Stofferl und Michael probieren mit anderen Geschwistern (den drei Schwestern von den Wellküren und dem Bruder Karli) unter dem Namen Geschwister Well eine Familienaufstellung der besonderen Art. Das Programm heißt: „Fein sein, beinander bleibn“, hat in den Münchner Kammerspielen Premiere gehabt und läuft seitdem wie „Diridari“ oder „München leuchtet“ früher, dauernd überausverkauft. Hans Well hingegen greift mit neuen Texten und mit Rückendeckung seiner Kinder unter dem Gruppennamen „Wellbappn“ an. „Wir hatten einander überlebt“, resümiert er doppeldeutig am Ende seines Buches. Alles hat seine Zeit.