Zuchtperle der Volksmusik

(Süddeutsche Zeitung vom 6. Februar 2012)

Zuchtperle der Volksmusik – Geschwister Well in den Münchner Kammerspielen

von Tobias Dorfer

Wenn Markus Söder zum „fränkischen Abszess“ wird: Zweieinhalb Wochen nach dem letzten Konzert der „Biermösl Blosn“ präsentieren sechs Well-Geschwister in München ihr neues Programm. Das Sextett rast im Eiltempo durch bayerische Geschichte, erfüllt CSU-Mann Thomas Goppel einen Wunsch – und klärt nebenbei noch jede Menge Großfamilienstreitigkeiten.

 Auf der Bühne im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele ist an diesem Abend für die sechs Well-Geschwister eigentlich gar kein Platz. Harfen stehen dort herum, immer wieder eine Tuba, Trompeten, ein Kontrabass – und was nicht auf der Bühne steht, ist hinten feinsäuberlich an dünnen Seilen aufgehängt: Ukulelen, ein Banjo, eine Steirische Harmonika und geschätzt 17.400 weitere Instrumente, von deren Existenz man bis zu diesem Abend nichts wusste. Später werden auch noch drei Alphörner aus dem Boden herausfahren. Man stellt sich unweigerlich vor, wie vollgestellt mit Instrumenten seinerzeit das Haus der Wells in Günzlhofen gewesen sein muss.

Das Musizieren, so viel vorweg, ist die eindrücklichste Leistung des Abends. „Fein sein, beinander bleiben“ heißt das Programm, bei dem sich sechs der 15 Kinder der Musikerfamilie Well zum gemeinsamen Liederabend treffen.

Christoph und Michael haben erst vor zweieinhalb Wochen in Fürth das Abschiedskonzert der bayerischen Kultcombo Biermösl Blosn hinter sich gebracht. Jetzt stehen sie ohne Hans, den Dritten im Bunde, auf der Bühne, was dem Motto des Abends einen etwas schalen Beigeschmack gibt.

Aber Hans Well bleibt ja nicht untätig. Zusammen mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt übt er ein eigenes Programm ein, das am 10. Februar in Stein an der Traun Premiere hat. Dafür mischt in den Kammerspielen Bruder Karli mit, der bei einem anderen Familienprojekt, den Well Buam auch die Klarinette spielt – und dazu sind noch die drei Schwestern Bärbi, Burgi und Moni, die sonst alsWellküren auf Tournee gehen, gestoßen.

Komplettiert wird die Combo durch die inzwischen 92 Jahre alte Mutter Traudl, sie ist für die Zither eingeteilt. Zumindest dann, wenn sie Zeit hat – so steht es im Programmheft. Und an diesem Abend hat sie Zeit.

Zusammen mit Regisseur Franz Wittenbrink, den man in den Kammerspielen von seinen erfolgreichen Liederabenden „Männer“ und „Denn alle Lust will Ewigkeit“ kennt, haben die Well-Geschwister ein Programm zusammengestellt, das in seiner Optik geradezu minimalistisch daherkommt.

Visuelle Effekte gibt es nicht – wenn man von der idyllischen Heidi-Landschaft absieht, die immer wieder als Hintergrundbild eingeblendet wird. Und auch die Rahmenhandlung engt das Programm nicht unnötig ein: Sie besagt, dass das Sextett nach Jahren des finanziellen Darbens nun den kommerziellen Erfolg sucht und für die Auftritte bei einer Rohrverlegerfirma, einem Pharmakonzern und bei einem Oktoberfest-Imitat in den USA (gesponsert von einer Weißwurstfirma „im Joint-Venture mit Alfons Schuhbeck“) probt.

Genügend Freiräume also für den hintergründigen Well’schen Wortwitz, für allerlei Gemeinheiten und jede Menge familieninterner Frotzeleien. So landet man in der fiktiven Volksmusiksendung Zuchtperle der Volksmusik, bei einer „Weihwasser-Pipeline“ von Tschenstochau nach Altötting, entdeckt Gemeinsamkeiten der bayerischen und chinesischen Sprache („Bier hamma nimmi, sauf ma halt a Wassi“) und erlebt, wie Mutter Traudl vom Nikolaus – Gerhard Polt mit einem Gastauftritt – die Leviten gelesen bekommt.

Läster-Attacke gegen die CSU

Natürlich kommt auch der Well-Auftritt in den Kammerspielen nicht ohne die durch die Biermösl Blosn Kult gewordenen Spott-Attacken auf die CSU aus. An diesem Abend ist es der Song „Im Darm“, der Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer gewidmet ist, und Neu-Finanzminister Markus Söder zum „fränkischen Abszess“ sowie Verkehrsminister Peter Ramsauer zum „Zeck“ macht.

Der ehemalige Wissenschaftsminister Thomas Goppel, so erzählen die Wells, sei an sie mit der Bitte herangetreten, doch endlich mal etwas Nettes über die CSU zu singen. Das hat er jetzt davon.

Kurz vor der Pause schließlich lassen die Geschwister in einem Lied die bayerische Geschichte Revue passieren. Während über die Leinwand Familienbilder der Wells aus den vergangenen Jahrzehnten ziehen, schleudern die Musiker Stichwort für Stichwort wie aus einer Pistole ab: Uschi Glas, Nicki, Sedlmayr, Laptop, Lederhose, Gammelfleisch, Problembär, Trappatoni, Mixa, Guttenberg – das Publikum tobt vor Freude.

Dabei sind das noch nicht die besten Momente des Programms, das – mit Pause – fast drei Stunden lang dauert. Beeindruckend ist vor allem das musikalische Können der Geschwister. Wie sie problemlos von einem zum anderen Instrument wechseln, die Ukulele weglegen und dafür die Klarinette ansetzen, Blockflöte spielen und Tuba, Dudelsack und Banjo, Harfe und Saxophon und dazu auch noch singen, das macht den Wells so schnell niemand nach.

Es mischen sich Beethoven und Queen im Alphorn-Medley, da werden anspruchsvolle Trompeten-Soli dargeboten, wie man sie sonst auch bei den Philharmonikern im Gasteig hört (was auch nicht wundert, schließlich wurde Christoph Well seinerzeit von Generalmusikdirektor Sergiu Celibidache als Solotrompeter zu den Münchner Philharmonikern geholt).

Und weiter geht es: Stubenmusik mit Nonnengeige und Brummtopf. Yellow Submarine. Carmen von Georges Bizet. Mendelssohn. Angus Young. Highway to Well! Das alles wirkt einfach, spielerisch leicht geradezu, als wäre der Auftritt in den Kammerspielen keine Premiere sondern ein Abschlusskonzert.

Natürlich wird auch gestritten, das gehört sich schließlich so für eine ordentliche Großfamilie. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage durch das Programm, wer wem damals den Schürhaken ins Gesicht gehauen hat. Am Ende eskaliert der Streit – musikalisch. Das Sextett trötet und hupt wild durcheinander – um sich dann beim Abschlusslied „Fein sein, beinander sein“ wieder als verschworene Familien-Clique zu präsentieren.

Und so ist der Liederabend der Well-Geschwister auch eines: eine Ode an die Familie, deren Bande so eng sind, dass sie nichts zerreißt. Kein Schürhaken, kein vergeigter Einsatz – und auch nicht das Ende der Biermösl Blosn.

 

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