Sechs Wells und Musik fürs Volk – Geschwister Well
In neuer Besetzung begeisterten die Geschwister 1200 Menschen im Festzelt in Estenfeld
Geschwister Well – “Dann auch noch Bizets Carmen für drei Alphörner! Die offenen Enden der Langinstrumente ruhen auf zwei Biertischen und einer starken Schulter in Reihe eins. Und Stofferl, Michael und Karli beschwören erst das Zigeunermädchen herbei, ziehen dann den Bayern die Lederhose aus, lassen den Bi-Ba-Butzemann tanzen zur Eurovisionshymne, und schließlich – „We will, we will rock you“ – tobt in Estenfeld das Zelt.
Begonnen hatte das gehörnte Medley mit einem Andachtsjodler. Der war nötig gewesen, weil Stofferl, Michael, Karli, Bärbi, Burgi und Moni – allesamt den Geburtsnamen Well tragend und aus demselben Elternhaus stammend – sich wieder gestritten hatten auf der Bühne im rappelvollen 1200-Mann-Festzelt der 150-jährigen Turn- und Sportgemeinde Estenfeld im Landkreis Würzburg.
Da ist nämlich die Sache mit dem Schürhaken – 49 Jahre her, aber noch immer nicht familiär ausdiskutiert. Hat nun die Moni, die Jüngste, dem Stofferl einst die Ofenstange über die Nase . . . Oder war der Stofferl selbst mit dem ehernen Haken in der Hand gestolpert . . . Oder war’s doch Karli, der dem Stofferl wegen 50 Pfennig eins mitgegeben hatte, auf dass das Blut lebensbedrohlich floss und gar nicht mehr aufhören wollte zu fließen . . .?
Jedenfalls wird der Schürhaken-Vorfall an diesem Montagabend in Estenfeld nicht mehr eindeutig geklärt. Klar ist nur: Aus dem Stofferl ist – trotz oder wegen des kindlichen Blutverlustes – ein formidabler Trompeter, ein musikalischer Tausendsassa, ein Anarchist geworden. Einer, der geschätzt 14 482 Instrumente spielen kann, der bei den Münchner Philharmonikern solotrompetete und der 35 Jahre lang mit Bruder Michael und Bruder Hans als Biermösl Blosn der CSU und anderen Großkopferten den Marsch blies. Aber die Biermösl Blosn – das Trauerjahr ist noch nicht vorbei – sind Geschichte. Seit Februar machen drei Wellküren und drei Well-Brüder gemeinsame Sache. In den Münchner Kammerspielen – und, weil es ihnen Spaß macht und sie keinen Vorhang und kein großes Theater-Chichi brauchen, auch auf dem platten Land im dunstigen Zelt der TSG Estenfeld.
Die Wells brauchen nur was zum Spielen. Ein ganzes Arsenal an Zupf-, Zieh-, Streich-, Blas- und Hackgeräten haben sie aus Günzlhofen bei Fürstenfeldbruck mitgebracht, von der Maultrommel über Hackbrett und Dudelsack, Banjo und Harfe bis zum selbst gebastelten Brummtopf.
Die Sechs trotzen der Anlage, sie zoten herum und witzeln und zanken sich verbal, sie provozieren Schenkelklatscher im Publikum, sie schuhplatteln und rappen und reimen und quietschen, und der Ton ist manchmal arg laut und schrill. Aber wenn die Brüder und Schwestern dann einfach die Musik sprechen lassen, wenn sie mit Blockflöte oder allem, was sich streichen lässt, Opern geben oder mit Nonnentrompeten den Gänsehaut-Boléro durchs riesige Zelt wogen lassen – dann wird es unter den 1200 Festgästen unglaublich still. Wurscht, wer vor fünf Jahrzehnten den Schürhaken schwang – es lebe die Volksmusik!”