We are family …

(Welt, 17.10.2013) Mit ihrem Liederabend gastieren sechs der 15 Well Geschwister im St. Pauli Theater. Inszeniert hat Franz Wittenbrink, eines von 13 Geschwistern

Von Armgard Seegers

Kaum jemand kann sich vorstellen, wie das Leben verläuft, wenn man eines von 15 Geschwistern ist. Christoph Well ist der 14. – oder, wie er fröhlich erklärt, „Nummer 14“. Nach ihm kam noch eine Schwester in die Familie aus dem bayerischen Günzlhofen, das zwischen München und Augsburg liegt. Sechs der Geschwister sind nun mit ihrem musikalischen Kabarett Abend „Fein sein, beinander bleibn“ im St. Pauli Theater zu Gast.

Einer kann sich genau vorstellen, wie es sich in so einer Großfamilie lebt: Franz Wittenbrink. Der Musiker, Dirigent und Erfinder des modernen Liederabends ist das sechste von 13 Geschwistern. Die 17köpfige Familie Well hat immer schon zusammen Musik gemacht. Jeder spielt mehrere Instrumente, obwohl nur einer, nämlich Christoph, Musik studiert hat und später bei den Münchner Philharmonikern Solotrompeter war. In Wittenbrinks Familie hat nur Franz musiziert, er spielte schon als Kind viele Instrumente, war musikalisch hochbegabt und kam zuden Regensburger Domspatzen, „aber auch, weil ich sehr aufsässig war“. Drei der Well Brüder haben 35 Jahre lang als „Biermösl Blosn“ musikalisches Kabarett – unter anderem mit Gerhard Polt – gemacht, haben sich mit anarchischem Witz an Bayern und der CSU abgearbeitet. Drei der Well Schwestern sind musikalischkabarettistisch seit 23 Jahren als „Wellküren“ unterwegs. Außerdem gibt es noch die Wellbuam und die NouWellcousines, aber das ist eine andere Geschichte.

Die sechs Geschwister haben gemeinsam mit Franz Wittenbrink den Liederabend „Fein sein, beinander bleibn“ konzipiert, mit dem sie seit vergangenem Jahr an den Münchner Kammerspielen auftreten oder gastieren. Wenn sie Zeit hat, kommt auch Traudl, die 94jährige Mutter der Well Geschwister dazu, spielt Harfe. In Hamburg allerdings, wo die bayerische Truppe am Wochenende gastiert, ist die Mutter nicht dabei. Dafür kommen jede Menge Instrumente zum Einsatz, darunter Ukulele, Klarinette, Tuba, Dudelsack, Banjo, Harfe, Saxofon, Alphorn und Brummtopf. Gespielt wird alles zwischen Bizet, den Beatles und vor allem Bajuwarisches. Das Lied „Im Darm“ wird Horst Seehofer gewidmet. Es gibt viele politische Lieder im Programm, „aus Notwehr,“ sagt Well. „Den Hamburgern wollen wir die Angst vor Bayern nehmen.“ Das Leben in Bayern, das ist auch ein Thema des Abends, bei dem es um Uschi Glas, Sedlmayr, Laptop und Lederhose, den Problembär oder Guttenberg geht. „Es wird gesungen und gespielt, gedichtet und gereimt, gejodelt und geschuhplattelt, gestritten und wieder versöhnt.“

„Wir haben als Geschwister immer zusammen musiziert“, erzählt Christoph. „Die Kleinen, also ab Nummer sieben abwärts, die wollten schon lange wieder gemeinsam Musik machen. Wir haben dann den Franz gefragt, ob wir zusammen ein Programm zum Thema Familie machen wollen.“ Alle kennen die Großfamilienproblematiken, bei der sich jedes Kind selbst als das größte Opfer innerhalb der Familie sieht und stets glaubt, zu wenig Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern bekommen zu haben. Franz Wittenbrink sagt: „Kürzlich haben wir 13 Geschwister uns wieder mal getroffen. Bis heute gibt es einen gewissen Ehrgeiz untereinander, wer von uns am schlechtesten weggekommen ist. Aber insgesamt waren es wohl die Älteren.“ Auch einmal eingeübte Strukturen halten ewig. Dass jedes Kind dasselbe Ereignis anders wahrnimmt, spielt ebenfalls eine Rolle. „Wir reflektieren humorvoll über die Kindheit und darüber, wie man zu dem Menschen wurde, der man geworden ist. Humor ist ja immer auch Notwehr“, erklärt Christoph Well. Franz Wittenbrink weiß: „Wenn man unter so vielen Kindern aufwächst, besteht die Hauptarbeit darin, dass man nicht untergeht. Dabei lernt man unglaublich viele Kniffe, als Individuum wahrgenommen zu werden. Man sucht sich etwas, mit dem man herausragen kann. Ich war der Rebell, mein nächstjüngerer Bruder deshalb besonders brav. Zu stark auffallen darf man aber nicht, die Geschwister lassen es einen dann büßen. So entwickelt man soziale Kompetenz.“

We are family …

Innerhalb der WellGeschwister gibt es zwei Generationen, 20 Jahre liegen zwischen der Ältesten und der Jüngsten. Die Älteren seien noch streng und „mit deutschen Werten“ erzogen worden, die Jüngeren liberaler. Der Vater war Lehrer, hatte eine Singschar, den Kirchenchor, hat für jedes Kind ein Gedicht geschrieben. „Die älteren Geschwister ebnen den Weg, das ist ein Vorteil. Ein Nachteil ist, dass sich ja jedes Kind seinen Platz erobern will. Wenn man der 14. ist, ist kaum noch Platz frei. So bin ich der Einzige geworden, der Noten gelernt hat.“ Musik gemacht haben sie bei „allen Gelegenheiten, die angefallen sind. Viel Fernsehen gab es noch nicht. Wir haben Volksmusik (Link: http://www.welt.de/themen/volksmusik/) gespielt. Wenn dann eine Trompete gefehlt hat, haben meine Eltern wahrscheinlich gedacht, ‚Ach, machen wir noch ein Kind‘. So haben sie ein ganzes Orchester zusammen bekommen.“ Für die Kinder hat sich daraus ergeben, dass sie sich die Zuwendung, die sie von ihren Eltern nicht bekommen konnten, auf der Bühne geholt haben. „Jeder hat Ellenbogen entwickelt“, erzählt Christoph Well, „das ist eine sehr harte Schule, weil die Geschwister Konkurrenten sind, man aber zusammen spielen und eine Einheit sein muss. Man lernt, sich durchzusetzen. Wir sind sehr konfliktscheu aufgewachsen, um das Ganze nicht zu gefährden.“ Jeder, der von außen dort reingekommen ist, später als Schwager oder Schwägerin, hatte es sehr schwer. „Bei uns gibt es schon mehr als 40 Enkel und 20 Großenkel. Bald sind wir hoffentlich so viele, dass wir Einfluss aufs Wahlergebnis haben“, lacht Christoph Well. Franz Wittenbrink hat 29 Nichten und Neffen.

Anders als bei Wittenbrink, der im Internat war, galt die elterliche Warnung „Du musst ins Internat“ als Drohung. „Es wäre sehr schlimm gewesen, wenn man aus dem Familienverbund raus gemusst hätte“, sagt Christoph Well. „Das war bei mir anders“, sagt Wittenbrink. Im Internat sei es trotzdem schlimm gewesen. „Auf den Gastspielreisen war man ein kleiner Star, zurück im Internat war man ein verprügeltes, kleines Nichts.“ Lob für ein einzelnes Kind gab es im Hause Well nicht. Damit sich kein Kind etwas einbildet. Auch für die Wittenbrink Kinder habe es nie Lob gegeben, erklärt Franz. „Niemand sollte die Nase hoch tragen.“ „Lob haben wir uns auf der Bühne geholt“, erklärt Well, „indem man besonders gut gespielt hat. Deshalb hat auch keiner Geige gespielt. Die klingt erst schön, wenn man sie gut kann.“ Auf die Frage, ob die Eltern sich all ihre Kinder gewünscht haben, antwortet Christoph Well: „Ja. Unsere Mutter wollte schon immer mit all ihren Kindern auf die Bühne. Mit 40 hat sie Zither gelernt, mit 55 noch Harfe. Damit sie auf die Bühne kann.“

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