Tollhaus Karlsruhe – Am Anfang war das Nasenbluten
Am Anfang war das Nasenbluten
Zweieinhalb Stunden Volksmusik mit Witz: Geschwister Well im Tollhaus Karlsruhe
„So an volkstümlichen Scheiß hätt‘ uns der Papa bei beibrachte“, kann man es von der Bühne hören. Gemeint ist damit die Musik von Hansi Hinterseer, die hier für ein ganzes Genre steht, mit dem die Geschwister Well nichts zu tun haben wollen und auch nichts zu tun haben. Bei den Wells geht’s musikalischer, musikantischer und ganz gewiss anarchischer zu. Sechs der insgesamt 15 Geschwister Well, aus denen sich so bekannte Gruppen wie die Biermösl Blosn und die Wellküren formten, sorgten im ausverkauften großen Saal des Tollhauses für zweieinhalb Stunden Gaudi, Witz und Volksmusik.
Eigentlich beschreibt der Begriff „Konzert“ das, was die Geschwister Well da auf der Bühne treiben, nur unzureichend, denn das ganze Programm „Fein sein, beinander bleibn“ wurde von dem Regisseur Franz Wittenbrink szenisch als eine musikalische Probe gestaltet und gewährt dem Publikum einen Einblick in die Familiengeheimnisse von Burgi Bärbi, Moni, Stofferl, Michael und Karli Well. Die drehen sich um einen Schürhaken und eine blutende Nase – ein Vorfall, der bereits im Laufstall stattfand, aber jetzt, auf der Probe, immer noch für Geschwisterstreitigkeiten sorgt. Während so die Wells ihre Zwistigkeiten austragen, die daher rühren, dass jeder sich anders an den besagten Vorfall erinnert, wird musiziert.
Denn dabei muss man aufeinander hören, ob man will oder nicht. Und wenn die Wells loslegen, dann kriegt das Publikum was geboten. Auf einer Unzahl an Instrumenten wird dann herumgespielt. Es schein kaum ein Instrument zu geben, vom Dudelsack bis zum Alphorn, das vor den Wells sicher ist und aus dem sich etwas Anständiges herausholen ließe. Da verknüpfen die die Hochzeitsmärsche von Wagner und MEdelssohn Barthold, um dem Antisemiten Wagner eins auszuwischen und üben schon mal für das Oktoberfest in San Antonio/Texas. Denn ohne die Bayern gäb’s keine Countrymusic, sagen sie, um die musikalische Linie vom Jodeln zum Yodeling hernach beherzt nachzuzeichnen. Immer wieder wird ein Gstanzl eingeschoben, also eine Art Wettgesang in Vierzeilern, den dem man versucht, den Gegenpart zu übertrumpfen.
Eigentlich sind Rapper also auch bloß Gstanzl-Sängerund Stofferl Well tritt mit „40 Cent“, einem Rap über die Milchabnahmepreise von Milchbauern, sogleich den Beweis an. Die Geschwister Well rissen ihr Publikum von der ersten Sekunde an mit und ließen es bis zum Schluss nicht mehr ihren Händen. Der Abend und die Zwistigkeiten endeten harmonisch im Chorgesang „Fein sein, beinander bleibn“ – und hoffentlich bald wieder kommen.
Jens Wehn Karlsruhe, März 2015